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Rezension

Cover Mein verwundetes Herz
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Bewertung:
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:

Lilli Schlüchterer, Kölner Fabrikantentochter, heiratet 1926 ihre große Liebe, Ernst Jahn. Beide verbindet die Liebe zur Literatur und das Interesse für die Medizin, die sie beide studiert haben. Lilli ist ihrer Zeit voraus, sie ist emanzipiert und gebildet. Sie bekommen zusammen fünf Kinder; die vier Mädchen Ilse, Johanna, Eva und Dorothea sowie den Jungen Gerhard. Doch ihr Glück währt nicht lang. Ernst hat eine Geliebte, will eine neue Familie gründen und lässt sich von Lilli scheiden, obwohl ihm davon abgeraten wird. Denn Lilli ist Jüdin, er Protestant. In dieser Zeit, als die Angriffe gegen die Juden immer massiver wurden, wäre Lilli in einer Ehe mit einem arischen Mann viel besser geschützt gewesen, doch Ernst ist unbeirrbar und verlässt seine Frau. Kurz darauf wird Lilli in ein Arbeitslager gebracht. Von dort aus später nach Auschwitz. Sie verstarb dort 1944 und hinterließ ihre fünf Kinder, denen all ihre Liebe gehörte sowie einen sehr schmerzlichen, aber unglaublich liebevollen, aufschlussreichen Briefwechsel mit ihren Kindern, der gut ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod, von ihrem Enkel veröffentlicht wurde. Dieser Briefwechsel ist das Herzstück dieses Hörbuchs...

Meine Meinung:

Im überaus aufschlussreichen booklet dieses Hörbuchs findet sich ein Auszug aus der Einleitung, die der Autor für das Buch verfasst hat. Darin zitiert er Sebastian Haffner, der in seiner „Geschichte eines Deutschen“ schrieb, dass der, der etwas über den epochalen Einschnitt des Jahres 1933 wissen wolle, Biographien lesen müsse. Und zwar nicht die Biographien der Staatsmänner, sondern die raren Biographien der unbekannten Privatleute. Nachdem ich dieses Hörbuch gehört habe, kann ich mich dieser Aussage nicht nur vorbehaltlos anschließen, sondern möchte eine Biographie dieser Art besonders empfehlen: diese!

Ob in Form des Buches oder des Hörbuches ist im Grunde irrelevant. Beide bringen das Unfassbare zum Ausdruck, was damals hier mitten unter uns geschehen ist und reißt diesem „Geschehenen“ die Maske der Anonymität herunter, enthüllt die Menschen und ihre Schicksale, die hinter diesen Fakten, Daten und Ereignissen stecken. Was dahinter zum Vorschein kommt, sind Menschen wie du und ich. Menschen die weggeschaut haben, Menschen die schwach und illoyal waren, Menschen die getötet haben, sei es direkt oder indirekt.

Doch diese Zeit hat nicht nur das Schlechte in den Menschen an die Oberfläche gefördert sondern auch gute Eigenschaften verstärkt und Menschen dazu veranlasst, das Beste zu geben. Allen voran sicherlich Lillis Kinder. Dass diese damals noch halbfertigen Menschen so über sich hinausgewachsen sind, bewundere ich zutiefst. Vielleicht blieb ihnen keine andere Wahl, könnte man annehmen. Doch die größte Bewunderung verlangte mir ihre grenzenlose Liebe zu ihrer Mutter Lilli ab, für die sie so tapfer und so liebevoll waren. Für die sie verzichtet haben und der sie ganz sicher das Gefühl gegeben haben, geliebt zu werden. Selbst in Momenten größter Verzweiflung durch ihre Briefe, die von grenzenloser Liebe zeugen.

Dass die Briefe, die die Kinder an sie ins Konzentrationslager geschickt haben, noch existieren, ist ebenfalls einem mutigen und barmherzigen Einsatz zu verdanken - allem Anschein nach hat eine KZ-Aufseherin, die Mitleid hatte und Lilli einen letzten Wunsch erfüllen wollte, sie herausgeschmuggelt.

Doch vermag Lilli Jahns Geschichte dem Leser (hier dem Hörer) darüber hinaus noch mehr begreiflich zu machen. Die Juden wurden verfolgt. Verfolgt im eigenen Land. Es waren auch Deutsche. Jüdische Deutsche. Sie wurden isoliert, verfolgt und schließlich getötet. Wie unfassbar das alles für die Opfer war, wird eindringlich laut durch Lillis Fassungslosigkeit, die sie bereits in Briefen verarbeitet, die sie an ihr nahestehende Menschen geschrieben hat, als erste Sanktionen gegen die Juden verhängt wurden.

Wie schwer dieses Schicksal wiegt, verdeutlicht sich darin, dass Lillis Kinder, die in ihren Briefen tausendfach beweisen, wie stark die Liebe zu ihrer Mutter ist, ihren eigenen Kindern später nie etwas über ihre Mutter erzählt haben, wenn sie nach ihrer Großmutter Lilli gefragt hatten. Lediglich dass sie in Auschwitz gestorben ist, sind sie bereit zu erzählen. Verständlich. Wie weh muss es tun, davon zu berichten, was die eigene so sehr geliebte Mutter durchlitten hat? Ganz abgesehen von den Demütigungen, die sie erfahren musste. Wie würden wir uns fühlen, würde unser letztes Bild, das wir von der Mutter im Kopfe hätten, das einer abgemagerten in Arbeitskleidung steckenden Frau sein? Wie bringt man dieses Bild der Tatsachen mit seinem Bild des geliebten Menschen für sich in Einklang? Geschweige denn: Wie darüber reden?

Dem Hörer wird im booklet verraten, dass dies in der Tat nicht leicht für Lillis Kinder war. Ihr Schweigen wurde erst gebrochen, als die Briefe nach dem Tod Gerhards, Lillis einzigem Sohn, in seinem Nachlass gefunden wurden. Gerhard hatte selbst seinen Schwestern nichts davon erzählt, dass sie noch existieren und er sie in Aufbewahrung genommen hat. Und diese konnten sich anschließend auch nur ganz allmählich damit auseinandersetzen. Einer von Lillis Enkeln - Martin Doerry - hat schließlich alle Briefe gesichtet und geordnet, bis sich eine vollständige Dokumentation daraus ergab, die ihres Gleichen sucht. Mit der Entscheidung, ob diese Briefe der Öffentlichkeit preisgegeben werden sollten, taten sich Lillis Angehörige sehr schwer. Die nun nicht mehr zu klärende Frage, ob Lilli es gewollt hätte, wurde abgewägt und sicherlich fiel die Entscheidung nicht leicht, was auch in der Einleitung von Martin Doerry angesprochen wird.

Doch auch hier bewiesen Lillis Kinder noch einmal sehr viel Mut und sie entschieden sich für die Veröffentlichung. Meiner bescheidenen Meinung nach ein Geschenk an die Menschheit, für dass ich sehr dankbar bin. Denn hinter all den Ereignissen, zu denen es zahlreiche sachliche Schilderungen gibt, aber wenige Dokumentationen aus erster Hand, verbergen sich Menschen und Schicksale die nicht vergessen werden dürfen. Sie sind wichtig, um die Vergangenheit zu verstehen - was selbst mit solchen Offenlegungen schon fast unmöglich ist - und daraus für die Zukunft zu lernen. Und das ist nur möglich, wo das Schweigen - so verständlich es auch ist - gebrochen wird!

Des Weiteren fand ich den Gedanken beruhigend und schön, dass man den Hörer wissen ließ, dass Lilli ein literarisch interessierter Mensch war. Dies lässt hoffen, dass ihr der Gedanke vielleicht sogar gefallen würde, ihre stets sorgsam gewählten und wohlklingenden Worte veröffentlicht zu sehen.

Das Hörbuch wurde exzellent umgesetzt. Das ist zum einen dem Verlag zu verdanken, der für diese Produktion ausgezeichnete Sprecher ausgewählt hat. In der für Lilli ausgesuchten Stimme schwingt all die Liebe mit, die aus ihren Worten spricht. Mir ist sie immer noch im Ohr und ich glaube, ich werde sie nie vergessen. Aber auch die Stimmen, die Lillis Kindern hier gegeben werden, sind kunstvoll eingesetzt. Es klingt gerade so viel an Besorgnis und Belastung aus den Zeilen wider, dass sie der Dosis entsprechen, die an Besorgnis und Belastung in den Briefen enthalten ist. Eben kaum, lediglich die zwischen den Zeilen. Die ist vernehmbar. Nicht mehr, nicht weniger - denn die Mutter sollte sich doch keine Sorgen machen.

Aber auch dem Autor, Martin Doerry, gebührt für dieses Hörbuch große Anerkennung! Auf 2 CDs den Inhalt des 12 Seiten umfassenden Buches wiederzugeben, ist eine Kunst, die nicht viele beherrschen. Die bereits im Buch getroffene Auswahl an Briefen, die dort veröffentlicht sind, zu minimieren, so dass sich das Volumen für ein Hörbuch eignet und dennoch ein rundes Bild der Geschehnisse entsteht, ist bestens gelungen. Mit der Zusammenstellung muss sich der Autor größte Mühe gegeben haben. Auch der im booklet abgedruckte Textauszug, entnommen aus der Einleitung des Buches, ist sehr aufschlussreich und lässt den Hörer nicht allein. Ebenfalls die kleine Auswahl an Fotos, die auf dem Cover und im booklet abgebildet sind, bringen dem Hörer Lilli und ihre Kinder näher.

Das Hörbuch wird mit all seinen Details zur Präzisionsarbeit. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass Martin Doerry seit 1988 stellvertretender Chefredakteur beim SPIEGEL ist. Diese unglaubliche Genauigkeit, mit der der Autor hier vorgeht, lässt sich damit wenigstens ein Stückweit erklären.

Fazit: Ich habe nur eine Hoffnung. Und zwar die, dass die Rezension nicht zu lang ist und der ein oder andere sie deswegen nur überfliegt. Denn ich hoffe, dass ich hierdurch bei möglichst Vielen das Interesse für Lillis Geschichte wecken kann. Sie vermag mehr zu erzählen als „bloß“ ein persönliches Schicksal. Ich denke, dies war der Grund, warum Lillis Kinder einer Veröffentlichung überhaupt zugestimmt haben.

Anmerkung:

Nachdem ich dieses Hörbuch gehört und das überaus interessante booklet, in dem sich auch Abdrucke von Fotos von Lilli und ihren Kindern befinden, gelesen hatte, wollte ich noch mehr über Lilli, ihre Familie und ihr Schicksal wissen. Ich wollte noch mehr Fotos und vielleicht auch den ein oder anderen Abdruck von den Original-Briefen und Dokumenten anschauen. Da dieses Hörbuch die gekürzte Version des Buches ist, das unter gleichnamigen Titel erschienen ist, entschied ich mich dafür, das Buch anschließend auch noch zu lesen. Hierzu gibt es im Buecher4um auch eine Rezension, die ergänzend zu dieser hier sicher interessant ist, auch wenn sich einige Textbausteine der beiden Rezensionen gleichen. Denn dort wird auch explizit auf die Buchausgabe eingeganen! Man könnte nun annehmen, ich hätte mich vielleicht lieber direkt für das Buch entschieden, wenn ich vorher gewusst hätte, dass die Geschichte mich so sehr interessieren würde. Dem ist jedoch nicht so. Durch das Hörbuch habe ich Stimmen im Kopf, die für mich bei einem Briefwechsel sehr wichtig sind. Erhält man einen Brief von einem geliebten Menschen, so klingt dem Adressat oft beim Lesen dessen Stimme im Kopf. Lilli und ihren Kindern wird es ebenso gegangen sein. Mir würde etwas fehlen, wenn ich keine Stimmen hierzu im Kopf hätte. Für mich gewinnt das Buch an Persönlichkeit durch das Hörbuch als Ergänzung. Es sind zwar keine Originalstimmen, aber m. E. geben sie viel von den zwischen den Zeilen mitschwingenden Gefühlen wider. Ich kann somit uneingeschränkt beides empfehlen: Sowohl das Buch, als auch das Hörbuch! Und das passiert mir wirklich selten. (Petra)

Button geht es zur Rezension des Buchs "Mein verwundetes Herz - Das Leben der Lilli Jahn 1900-1944"!

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© 2002 Hoerbuecher4um, erstellt am 14.08.2003, letzte Änderung am 01.03.2004, Layout by abrakan